Die „Blaue Villa“

Mundloch des Tiefen Georg Stollens (W. R. Dez. 2010) In der Bergstadt Bad Grund hat bis Ende des Jahres 1925 ein architektonisch sehr ansprechendes Fachwerkhaus am Markt gestanden, über das heute kaum noch Zeitzeugen befragt werden können. Glücklicherweise befinden sich in privaten Bildarchiven noch Fotos bei Ortsansässigen, die Rückschlüsse auf dieses Gebäude ermöglichen. So können heute nur noch, neben Fotos, Informationen von Mund zu Mund hierüber weiter gegeben werden.
Bekannt ist, und es wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass man sehr stolz auf dieses Gebäude war und nur anerkennende Worte ausgesprochen wurden. Gehörte es doch immerhin mit zu den Gebäuden am Marktplatz, die durch die fachwerkliche Prägung, der Ortsmitte zur damaligen Zeit ein ansprechendes gegeben Bild haben (u. a. das Haus „Quisisana“, der „Römer“, ”Haus Neuner und” - etwas entfernt - die ”Bergvilla”).
Ab November 1925 gibt es dieses Haus nicht mehr. Es wurde ein Opfer der Flammen. Wie es zum Brand dieses Hauses gekommen ist, darüber gibt es kaum schriftliche Hinterlassenschaften. Eine davon - und wahrscheinlich auch die einzige - ist der in diesem Bericht wiedergegebene Artikel im „Der Oberharzer“, vom 4. November 1925 (Quelle: Archiv der Samtgemeinde Bad Grund (Harz) in Windhausen).
Trotz intensiver Sichtung nachfolgender wöchentlich erscheinender Ausgaben des „Der Oberharzer“, konnten jedoch keine weiteren Berichte aus dem lückenlos vorliegenden Archivbestand dieser Zeitung entdeckt werden.

Original Zeitungsausschnitt und Text:

Nummer 88 Bad Grund Oberharz, Mittwoch, den 4. November 1925 30. Jahrgang
Der Oberharzer
Aus den Bergstädten
Bad Grund (Harz), den 4. November 1925
*Die "Blaue Villa" brennt! Dieser Schreckensruf erscholl heute früh nach 9 Uhr in den Straßen unserer Bergstadt.
Das Feuer war bisher aus unaufgeklärte Weise in der Dachfirst entstanden und hatte bald den ganzen Dachstuhl des in mittelalterlicher Architektur errichteten alten Gebäudes ergriffen, sa daß die Bewohner im Verein mit hilfsbereiten Leuten kaum Zeit fanden, das Mobiliar noch zum Teil in Sicherheit zu bringen. Die Feuerwehr bekam bald die Unterstützung der auf "Hilfe Gottes" stationierten Motorspritze unserer Berginspektion; es galang dadurch schnell, die Gefahr für die arg gefährdeten Nachbarhäuser am Markt zu beseitigen. Gegen 12 Uhr traf auch noch die neue Motorspritze der Bergstadt Clausthal-Zellerfeld mit einer großen Anzahl Mannschaften der dortigen Feuerwehr mit einem Postauto ein, die sofort mit in Tätigkeit traf. Durch die Brandkatastrophe sind neben dem Besitzer Bönsel, der in dem Hause möblierte Zimmer für Kurgäste hatte, vier dort wohnende Familien schwer betroffen. Der Schaden ist teilweise durch Versicherung gedeckt. Von den angrenzenden Gebäuden hat das Eckertsche Haus durch Wasser etwas gelitten.
*Durch den heutigen großen Brand sind die elektrischen Leitungen der Stadt in Mitleidenschaft gezogen und außer Strom gesetzt. Es war uns aus diesem Grunde unmöglich, den "Oberharzer" zu gewohnter Stunde herauszugeben.
So bleibt bis zum heutigen Tage die Frage offen, weshalb ist damals eine solch knappe Berichterstattung erfolgt? Vielleicht können auch Leser dieses Berichts dazu beitragen, dass mehr Informationen über den Brand auch heute noch bekannt gemacht werden können.

Wie steht man heute nach 85 Jahren zu der „Blauen Villa“, wobei besonders der Standort in die Betrachtung einbezogen werden muss?
Diese Antwort soll gleich zu Anfang der Betrachtung vorweg genommen werden, die heißt, man kann es als Segen ansehen, dass dieses Gebäude schon zur Mitte der 20-er Jahre des vorigen Jahrhunderts aus dem Ortsbild verschwunden ist, denn es war ein Nadelöhr für den Durchgangsverkehr in den oberen Ortsteil der Bergstadt und besonders auch in Richtung Oberharz.
Weiter ist zu entnehmen, dass zwischen dem „Oberharzer Hof“ und der „Blauen Villa“ das offene Gewässer des Schlungbachs (Grunder Sprachgebrauch: die „Flut“) war, der zu einer etwas späteren Zeit durch eine Bruch­stein­gewöl­bemau­erung kanalisiert wurde. In der Zeichnung wirkt die „Blaue Villa“ wie ein Sperrobjekt zur Wasserumleitung (Anmerkung hierzu: Man muß schon sehr mutig gewesen sein, um an einer solchen Stelle ein Haus zu errichten)

Über die angesprochene Engstelle vermittelt die Gemarkungskarte von 1876 einen deutlichen Einblick. (Siehe weiter unten)
Dieser kann entnommen werden, dass zwischen der „Blauen Villa“ und dem heutigen Haus Tuckermann (damals Eckert) an der engsten Stelle zwischen beiden Gebäuden nur ca. vier Meter Abstand waren.

Weiter drängt sich heute auch die Frage auf: “wie war es überhaupt möglich, dass an dieser Stelle überhaupt ein Gebäude errichtet werden konnte?” Und weiter, “wer war der Bauherr, der die „Blaue Villa“ gebaut hat?” Fragen, die vorerst noch als unbeantwortet bleiben. Vermutlich hat der Erbauer in der Bergstadt viel Einfluß gehabt und beherrschte auch eine gewisse Macht, die er hat ausüben können.
Um auch in der heutigen Zeit eine Vorstellung von den damaligen Verhältnissen am Marktplatz zu haben, wurde eine Fotomontage erstellt,

in der die „Blaue Villa“ in das heutige Ortsbild des Jahres 2010 mit eingebunden ist. (siehe ganz unten) Eine Kommentierung zu diesem Bild möge jeder Betrachter für sich selbst vornehmen.

Für die Bereitstellung von Fotos für diesen Bericht und für die Zeichnung dankt der Verfasser sehr herzlich.

Die Marktvilla ("blaue Villa" genannt) vom Dach der Villa "Quisisana" aus gesehen, ragt in den Marktplatz hinein. Linker Hand, direkt angrenzend, etwas versetzt, das "Hotel Kurhaus" (Oberharzer Hof). Im Bild vorne links, das damilge "Römers Hotel Rathaus" (Alter Römer) Die rückwärtige Seite der blauen Villa von der Clausthaler Straße aus. Wie man sehen kann, erweitert sich das "Nadelohr" unmittelbar hinter dem Haus, wo früher das Braushaus stand. Der Schlungbach (Flut) liegt zu der Zeit noch bis in den Kurgarten am Oberharzer hinein offen.
Der enge Durchgang seitlich der blauen Villa zwischen Markt und Oberharzer Garten ist auch gut auf diesem Bild zu erkennen. Auf diesem Bildausschntt wird deutlich, wie die blaue Villa (hinter der Kirche) um die letzte Jahrhundertwende die Häuser rings um den Markt dominierte.
Lageplan des Marktplatzes vom August 1876 (Quelle: Katasteramt Osterode: Auszug aus Gemarkungskarte):
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Fotosimulation: - so etwa sähe der Markt heute, mit der "blauen Villa" und dem Nadelöhr zur Clausthaler Straße aus