Orte | Aktuell | Events | Winter | Links | Bergbau | Arboretum | Hübichenstein | Uhrenmuseum | Tropfsteinhöhle | Anno | Gästebuch
HISTORISCHES & HEIMATLICHES
Wappen | Sagen | 500 J. Kirche | 150 J. Kurort | Wegweiser | Schneemannsbau | Johanni | Ibergsiedlung | Laubhütte | Windhausen
Bad Grund in Anekdoten, Berichten & Gedichten von Willi WagenerSeite 1 |2 | 3 | 4 | 5| 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |
Über Hirtenpflichten, Hirtenfreuden,
längst enteilte Zeiten achtlos schweigen;
rotbraune „Damenkapellen“ gibt es nicht mehr,
die Stallungen stehen heute leer.
Hirtenliebe, Hirtenstolz,

Der Herden Glockenklang
hallt nach so lang...
zieht nicht mehr durch Wiesen und Forst.
Damit fehlt im Zug der Zeit
ein großes Stück Lebendigkeit.
Kein Glockenklang wird mehr vernommen,
ein Idyll wird nicht wiederkommen.
Rückblende auf das Jahr 1958:
Der letzte, langjährige Ortskuhhirte Ottto Münch sitzt mir vor dem kleinen Hirtenhaus im Kelchtal gegenüber, letzter Spross einer Hirten-Dynastie. Otto wurde vorzeitig, krankheitshalber, pensioniert.
Er spricht: Zeiterlebnisse der Vergangenheit nehmen Gestalt an, reifen zur Substanz, zu einem Stück Heimat. Herden und Heimat: ein Stück der Hirten. Schon sein Vater, Theodor Münch, ging als Hüteknecht dem Vorgänger, Hirten Sackmann, zur Seite. (Der Großvater weidete die Gittelder Herde.) Beide dienten Schulter an Schulter 19 Jahre; Herdenstärke: 220 Harzkühe. – Als 1909 der Ziegenhirte Scherger starb, übernahm Theodor bis 1917 die „Kühe des kleinen Mannes“. Da rief ihn die Bergstadt Lautenthal zur Betreuung ihrer 140 Kühe.. 1912 übernahm Albert Halves vom Hirten Sackmann die Grundner Herde; Stärke: 180 Tiere. Nach kurzem Intermezzo in Lautenthal wurde Theodor Grundner Hirte und wies sofort alle seine Söhne in das schöne, freie Hirtenhandwerk ein. Sohn Wilhelm hatte von 1926 bis 1946 die Hahnenklee-Bockswieser Herde vor dem Stock und von 1947 bis zu seinem Tode 1958 die 120 Kühe Buntenbocks. Vater Theodor behielt sein Amt bis 1936 – da starb er. Seiner ansteckenenden Fröhlichkeit und Ausgeglichenheit wegen liebten ihn alt und jung, Einheimische und Gäste.
Seine Söhne traten voll in die Fußstapfen des Vaters. Mein Gott, wie oft wurden diesen Braven abgelichtet....

Nach Vaters Abgang hüteten die Söhne Ernst und Otto in Grund; später Otto allein, unterbrochen von einem dreijährigen Kriegseinsatz – bis 1950. Mit 45 Jahren, infolge eine Hüftgelenkleidens, wurde er Vollrentner. Ein Mensch, an Tieren –Natur- Freiheit gewöhnt, brach in sich zusammen. Er: ehrlich, pflichtbewusst, treu, der nie in all den Hütejahren einen Unfall zu beklagen hatte, saß vor mir und weinte. Die große Herde, das große Kapital, war bei Wind, Wetter und Gewitter, in Ottos Obhut bestens behütet gewesen.....

Heimweh kann etwas Schöneres beinhalten und kann auch so wehtun.. Lassen wir Vergangenes weiterleben.
Stets am 2. Ostertag war Viehaustrieb in der Bergstadt. Geschmückt von ihren Haltern betraten die Tiere übermütig die Straßen, bestaunt von Einheimischen wie Gästen. Die ersten drei Tage rief der Knall der Schleuderpeitschen die Kühe ins Freie. Es ging zur damals unbebauten, mit kulinarischen Ständen bestückten Pfarrwiese. Feierliche Übergabe eines bunten Taschentuchs an die Hirten. Wir Jungen bekamen einen Bindfaden-Klapp für unsere Peitschen. An der Schleuderpeitsche der Hirten konnte sich jeder versuchen. Wem der Knall nicht gelang, er sich stattdessen in das Riemenzeug einwickelte, zahlte 50 Pfennig Strafporto. Und: Frohsinn hat viele Gesichter...
Abends am Austriebstag – schwoften die „Hirsche“ zu entsprechender Musik – bis in die Nacht hinein.

Und so haben wir die Hirten in Erinnerung behalten: Gestandene Mannsbilder; schwarzer, Eichelhäherfedern geschmückter Hut auf dem Haupt, im schwarzen Köperstoff-Kittel, Beingamaschen, breites Koppelzeug mit Axt-Halterung und Leine für den fuchsähnlichen Hirtenhund. – Unterhalb der Marktkirche, blies Theodor mit dem langen, gewundenen „Brummer“ die Tiere aus ihren Stallungen, oberhalb des Ortes: Otto mit dem Waldhorn. Hatte eine Hausfrau verschlafen, bekam sie ihr Ständchen nach dem Text: „Wer so ein faules Gretl hat...“ Und die Nachbarn hatten ihren Spaß an der Freud....

Die Herde zog ab Markt in eines der Täler gen Bergwiesen, bis zum 10. Mai. Mancher Ortsteil heute existierte seinerzeit noch nicht.. Wohltuend war der Klang des Glockengeläuts. Alle waren gestimmt, Bandbreite: vom hohen C bis zum tiefen Baß.

Ab 10. Mai ging es an die Grünflächen der Bergwälder. Ein besonderer Hirtentag war der Montag: Hirten- und Herdentreff im Steintal. Beteiligt die Herden aus Clausthal, Buntenbock, Lerbach und Bad Grund.: Hirten-Brüderschaft! Das lief so ab: Anmarsch 2 ½ h –Fresszeit bis 12.30 Uhr – Tränkung am Bergbach – Rast für Wiederkäuen. Natürlich kannten die Hirten jedes Tier, auch bei Namen. Im Regelfall waren alle Kühe bis zum Saisonauftakt gedeckt. Dennoch trieb der Zuchtbulle in jeder Herde mit. Er wurde alle zwei Jahre innerhalb der Bergstädte ausgetauscht. Bis 1940 war der Bulle Eigentum des Hirten, dann übernahm ihn die Stadt.
Diesen Vorgang überwachte das Zuchtamt in Goslar. Die Bullen waren Kolosse von 12 – 14 Zentnern, der letzte Ortskapitale wog 17 Zentner. Pro Bulle rechnete man ca. 80 Kühe. Vor 1940 kostete das Deckgeld 6 Mark, nach Stadtübernhame des Tieres 12 Mark. Trafen wieder Gäste in Bad Grund ein, war oft die erste Frage an ihre Vermieter: „Lebt auch der Theodor und Otto noch?“
Nur einmal passierte im Ort ein entsetzlicher Unfall. Ein wütender Bulle geriet mitten auf dem Marktplatz, Wurms Seite, außer Kontrolle. Er griff den fast 80jährigen Pastor i.R. Ehrenfeuchter an, nahm ihn auf die Hörner und schleuderte ihn gegen die Hauswand. Der betagte Herr erlag nach zwei Stunden seinen schweren Verletzungen. Der Bulle wurde tags darauf geschlachtet.
Sammelten anfangs die Hirten ihren Lohn von den Tierhaltern selber ein, so lohnte sie später der Verein. Der Hirte, vom Bürgermeister angemietet, stand unter festem Vertrag, der allerdings jährlich durch Neuwahl bestätigt werden musste; sein Verdienst wurde dem Spitzenlohn eines Bergwerks-Aufbereiters (Übertagemann) angepasst. Bekanntlich darf ein Hirte seine Herde nie verlassen; andernfalls hatte er einen Ersatzmann zu stellen. Dafür gab es pro Jahr als Treuegeld einen Wochenlohn als Urlaubs-Entschädigung. Lästige Insekten, grollende Gewitter verlangten Hirten oft alles ab. Das schmälerte nicht die Liebe zu seinen Tieren oder seinen Berufsstolz. Gern verabredeten sich Kurgäste mit den Hirten zu einem Treff im Forst. Für das Schärperfrühstück sorgte der Hirte: frisches Brot, eine Schlacke und Büchsenwurst aus eigener Herstellung. Für das Kaffeetrinken sorgten die Gäste: Frischer Blechkuchen und Kaffeebohnen. Der Bach lieferte perlendes Quellwasser. Waldesluft und Bohnenkaffeeduft: ein Traum!
Ich hatte das Glück, einige Male an dieser Feuerstellen-Romantik teilnehmen zu können und staunte auch, weil hier der Hirte und der Direktor „per Du“ verkehrten. Mundende Kuhmilch war klar bei dem würzigen Weidefutter und wurde von Ärzten verordnet. Bei entsprechender Witterung weidete die Herde zwischen dem 28. September und 10. November wieder in den offenen Bergwiesen. War dem so, bekam der Hirte von den Tierhaltern einen neuen Hut.
Im Winter zogen Vater und Sohn im Schlachterrock zur Kundschaft: Hausschlachtung. Wurst würzen: meisterlich! Als Arbeitsloser „Stempeln“ – gab es nicht! Durch Korbflechten und Besenbinden verdienten die Hirtenfrauen ein Zubrot. Da die Hirten sich mit Heilkräutern der Natur-Apothele auskannten, kurierten sie manches Tier oder spielten Geburtshelfer.
Für Otto, der 1950 krankenhausreif war, ging eine Ära zu Ende: Hirtenleben – Aus. Für zwei Jahre übernahm der Clausthaler Junghirte Helmut Schönfelder die inzwischen stark zusammengeschmolzene Grundner Herde. 1952-55 löste ihn Männe Diekmann ab, der dann nach Festenburg wechselte. Hirten – Halali: Es ist eben nichts beständiger als der Wandel: Brave Männer sind zu Hause und ruhen sich im Hirtenhimmerl aus, und in jenem Paradiese gibt’s gewiss noch mehr als Berge, Täler, Wald und Wiese!
Für die damalige Stadtreinigung (zweimaliger, täglicher Herdendurchzug) hätten Karl Kath und Hermann Kratzenstein einen hohen Orden verdient! Wünschen wir dem derzeitigen Neubeginn einer Haltung rotbrauner Harzkühe viel, viel Erfolg!!

Willi Wagener

Vorherige SeiteNächste Seite

Impressum